"Ich werde mich gerne impfen lassen" Interview mit Biontech-Gründer
Als im Januar Berichte über ein neues Coronavirus die Runde machen, reagieren die Biontech-Gründer Uğur Şahin und seine Frau Özlem Türeci sofort: Sie verlagern den Schwerpunkt ihrer Krebs-Forschung auf die Suche nach einem Impfstoff gegen das neuartige Virus. Als erster Impfstoff wel
Sie sind sozusagen der Vater des ersten zugelassenen Impfstoffes. Wie fühlt sich das an?
Wir sind natürlich glücklich und erleichtert, dass wir jetzt zum ersten Mal die Möglichkeit haben, den Impfstoff auszuliefern. Wir haben aber jetzt nicht wirklich Zeit, uns darüber zu freuen. Wir haben noch viel zu tun. Es laufen noch Anträge bei der Europäischen Arzneimittel-Agentur Ema, in den USA und in weiteren Ländern. Und wir müssen uns um die Logistik kümmern. Dementsprechend geht das konzentrierte Arbeiten erstmal weiter.
Wann rechnen Sie damit, dass die Europäische Arzneimittel-Agentur grünes Licht für den Impfstoff in Deutschland gibt?
Die Ema hat signalisiert, dass sie bis zum Ende des Jahres eine Meinung abgeben wird. Ich gehe davon aus, dass wir spätestens bis zum 30. Dezember eine Rückmeldung erhalten.
Wie schnell kann es dann gehen mit der ersten Impfung?
Wir produzieren jetzt schon und haben Impfstoffe vorliegen. Im Grunde könnten wir, sobald die Ema-Zulassung vorliegt, direkt einen Tag später anfangen, auszuliefern.
Wie lange wird es Ihrer Einschätzung nach dauern, bis für ganz Deutschland genügend Impfstoff da ist und wir zurückkehren zu einem normalen Leben?
Es ist wichtig, dass auch weitere Unternehmen ihre Impfstoffe zulassen. Ich gehe davon aus, dass bis zum Sommer ausreichend Impfdosen vorliegen und eine ausreichende Anzahl der Bevölkerung, etwa 60 bis 70 Prozent, immunisiert ist.
Wie läuft es mit der Produktion? Da gab es ja gerade Schlagzeilen über Schwierigkeiten.
Wir hatten schon Anfang November bekannt gegeben, dass wir unser ursprüngliches Ziel von 100 Millionen Dosen für dieses Jahr nicht erreichen können. Dafür gibt es verschiedene Gründe. Unter anderem, dass die klinischen Studien ein bisschen später fertig geworden sind. Aber auch, weil wir, was die Rohmaterialien angeht, Qualitätsprobleme hatten. Diese mussten gelöst werden. Die Produktion läuft weiter wie geplant und wir haben weiterhin vor, die für 2021 bereits geplanten 1,3 Milliarden Dosen zu produzieren und auszuliefern. In diesem Jahr werden wir 50 Millionen Impfdosen herstellen können.
Die Logistik ist eine große Herausforderung. Es ist wahnsinnig schwierig, so große Mengen Impfstoff bei minus 70 Grad zu transportieren. Wird das in Zukunft einfacher?
Unser jetziger Impfstoff wird ja bei minus 70 Grad transportiert. Dann kann er bei 2 bis 8 Grad über fünf Tage gelagert werden. Damit ist die Logistik zwar nicht einfach, aber umsetzbar. Nun entwickeln wir eine zweite Generation des Impfstoffes, die deutlich stabiler sein wird und vielleicht sogar bei Raumtemperatur transportiert werden könnte. Sie wird aber nicht vor Mitte nächsten Jahres verfügbar sein. Deshalb müssen wir bis dahin mit gewissen Einschränkungen in der Logistik rechnen.
Haben Sie sich selbst denn schon mit Ihrem eigenen Impfstoff geimpft?
Nein, noch nicht. Wir haben ja noch keine Zulassung für Deutschland. Aber sobald sie da ist, würde ich das natürlich gerne machen. Jedoch halten auch wir uns an die Vorgaben, für welche Personengruppen der Impfstoff zuerst vorgesehen ist, da machen wir bei uns selbst keine Ausnahme. Falls wir eine Möglichkeit haben, Mitarbeiter zu impfen, weil sie eine systemrelevante Arbeit leisten, dann würden wir das natürlich sehr schnell und sehr gerne machen.
Wovor genau schützt die Impfung? Vor einem schweren Verlauf oder auch vor der Übertragung?
Unser Impfstoff ist getestet worden und wir haben eine Wirksamkeit von 95 Prozent festgestellt. Die Impfung ist in der Lage, zu 95-prozentiger Wahrscheinlichkeit eine Krankheit zu verhindern. Wir wissen aus den vorliegenden Daten aber noch nicht, ob nur die Krankheit verhindert wird, oder ob auch die Infektion verhindert wird. Dazu sammeln wir in den nächsten zwei bis sechs Monaten weitere Daten.
Die Bundeskanzlerin hat vergangene Woche gesagt, auch die armen Ländern müssten Zugang zu Corona-Impfstoffen haben. Würden Sie Ihren Impfstoff an arme Länder auch verschenken?
Nicht direkt verschenken. Aber uns ist es wichtig, dass unser Impfstoff weltweit verfügbar wird. Wir arbeiten mit der WHO zusammen, um unseren Impfstoff auch in ärmeren Ländern verfügbar zu machen. Wir werden uns bei der Covax-Initiative beteiligen, welche das gleiche Ziel hat. Schon jetzt sind wir dabei, mit etwa 30 Staaten Verträge auszuhandeln, die natürlich individuell entsprechend der Wirtschaftskraft der Staaten angepasst sind. Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir bis 2021 in vielen ärmeren Ländern und Regionen unseren Impfstoff verfügbar machen können.
Wo sehen Sie abseits vom Corona-Impfstoff Potenzial bei BioNTech?
Für uns ist die Krebsforschung immer noch ein wichtiger Fokus. Wir haben in den letzten Monaten zwar nicht mit Höchstgeschwindigkeit, aber dennoch mit intensiver Arbeit, auch die Krebsforschungsprojekte fortgeführt. Wir werden sicherlich auch auf der Basis des Erfolgs, den wir für unsere Infektionsimpfstoffe beobachtet haben, den Infektionsbereich noch weiter stärken. Wir haben Projekte zu Impfstoffen im Bereich der Influenza, von HIV und Tuberkulose begonnen.
Wann werden Sie sich wieder entspannen können?
Ich gehe davon aus, dass wir erst im März oder April, wenn die meisten Länder eine entsprechende Zulassung haben und die Produktionsprozesse mehr zur Routine werden, uns wieder ausruhen können. Bis dahin müssen wir schauen, dass wir uns irgendwie zwischendrin von der Arbeit erholen.
Mit Uğur Şahin sprach Liv von Boetticher
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